Zeiss Biotar contaxs contaxd

Die Biotare waren die unübertroffenen Hochleistungsoptiken an den ersten Kleinbild-SLRs. Die Zeiss «Contax S» (ab 1948, rechts) und «Contax D» (ca. 1955, mitte) sind die Ur-Typen aller modernen Kleinbild-SLRs; hier mit den legendären Biotaren 7.5 cm 1:1.5 und 5.8 cm 1:2 abgebildet.
Contax S und Biotar 1.5/7.5 cm in verdankenwerter Weise liebevoll restauriert von dipl. Ing. Peter Olbrich, Görlitz.


EINLEITUNG

Die wohl bedeutendste Objektivkonstruktion überhaupt, das Zeiss «Planar», ist ebenso wie das «Tessar» dem damaligen Zeiss-Chefoptiker Paul Rudolph zu verdanken. Kurz nach dem «Protar» und noch vor dem «Tessar» rechnete Rudolph 1896 ein Objektiv, das seiner Zeit deutlich voraus war. Erst ein halbes Jahrhundert später – durch die ebenfalls von Zeiss entwickelte Vergütung  und die aufkommenden Spiegelreflex-Kameras (SLRs) – konnte das «Planar» seinen eigentlichen Durchbruch feiern. Praktisch alle hochlichtstarken Objektive werden heute als «Planare» ausgelegt, und über 100 Millionen Stück dürften bislang gefertigt worden sein.

 

VON GAUSS UND DOPPELGAUSS

Noch vor der Erfindung der Fotografie schlug der Mathematiker Gauss 1817 vor, den  klassischen, verkitteten Achromaten für die Astronomie in zwei Einzel-Linsen aufzusplitten und damit die sphärischen Aberrationen für alle Wellenlängen des Lichtes gleichmässig zu korrigieren. Realisiert wurde Gauss’ Vorschlag allerdings erst 1877 in einem von Clark in Cambridge gebauten Teleskop. Durch einen symmetrischen Aufbau von Objektiven werden drei Abbildungsfehler (Koma und Verzeichnung sowie die lateralen chromatischen Aberrationen) automatisch korrigiert, zumindest beim Massstab 1:1. Aus diesem Grund verdoppelte Clark’s Sohn das ursprüngliche Gauss-Objektiv und patentierte es 1888 als Foto-Objektiv («Doppel-Gauss»). Manche der auf diesem Prinzip aufbauenden Grossformat-Objektive wie z. B. das «Eurynar» von Rodenstock werden auch heute noch aufgrund ihrer Eigenschaften als «Tiefenzeichner» in der «fine art» Szene geschätzt; den Durchbruch schafften sie aber nicht.

 

 Zeiss FS143 PlanarBiotarQuerschnitte  

DAS ZEISS PLANAR

Paul Rudoph, der 1890 mit dem Zeiss «Protar» den ersten Anastigmaten gerechnet hatte, wandte sich kurz danach wieder den symmetrischen Objektiven  zu. Er fand, dass man die beiden Hauptfehler des «Doppel-Gauss» (sphärische Aberrationen und Astigmatismus) durch ein dickeres negatives Element und verkleinerte Zwischenräume zwischen den Linsen weitgehend eliminieren konnte. Problematisch war, dass keine geeigneten Gläser zur Verfügung standen, die – bei gegebener Brechzahl – die gewünschte Dispersion hatten; die Korrektur der Farbfehler schien zunächst unmöglich. Rudolph hatte daraufhin die geniale Idee, die beiden negativen Elemente in je zwei verkittete Linsen aufzuspalten, die aus Glas mit identischem Brechungsindex, aber unterschiedlicher Dispersion gefertigt waren. Durch geeignete Wahl der Linsenradien konnte er dadurch die Dispersion des gesamten negativen Elementes stufenlos steuern und genau auf den gewünschten Wert bringen.

Trotz einer exzellenten und bis in die Bildecken gleichmässigen Detailauflösung galt das Planar als «Spezialobjektiv für Mikro- und Brieftaubenfotografie» (David 1920). Aufgrund der acht Glas-Luft-Flächen waren die inneren Reflexionen zu hoch und der Kontrast zu flau. Der Durchbruch blieb dem Planar vorerst verwehrt.

 

LEE'S OPIC LENS

Um 1900 waren die meisten Objektive symmetrisch aufgebaut und somit für einen Massstab von 1:1 korrigiert. Diese Tatsache mag uns ungewohnt erscheinen – doch damals nahm man Porträts auf 18x24 cm oder 30x40 cm grossen Platten auf, also in etwa bei Masstab 1:1. Der aufkommende Kino-Film verlangte nach anderen Konstruktionen. Da man ab 1920 wegen des Tonfilms auf die hellen, aber lauten Bogenlampen verzichten musste, wurden lichtstarke Objektive  wichtig. Weil zudem das Kino-Negativ nur 16x24 mm gross war, mussten die Objektive neu auf einen Masstab von ca. 1:20 optimiert werden. Zudem war höchste Detailauflösung gefragt, um auf dem winzigen Negativ genügend Bildinformationen speichern zu können. Horace W. Lee, einer der wichtigsten englischen Objektivdesigner, erkannte 1920 das Potenzial des Planars für den Kino-Film. Er erhöhte er die Lichtstärke auf f2 und baute es zugleich leicht asymmetrisch, um es auf einen Massstab von 1:20 zu optimieren.

Lee’s Pionierarbeit und das aufkommende Kleinbild führten bald dazu, dass das Planar-Prinzip intensiv weiterentwickelt wurde. Tronnier bei Schneider-Kreuznach («Xenon», 1925), Merté bei Zeiss («Biotar», 1927) und Berek bei Leitz («Summar», 1933) schufen Objektiv-Klassiker, die in die Geschichte der Fotografie eingingen. Alle basierten auf dem Planar von 1897 – aber keine dieser Optiken erreichte die Leistung der «Sonnare» von Bertele, die in den 1930er Jahren als die besten Kleinbildobjektive galten (siehe Fotospiegel 142).

 

TRONNIER, SCHNEIDER-KREUZNACH UND LEICA

Zeiss hatte die Sonnare durch Patente bestens geschützt. Die Konkurrenz – darunter Leitz und Schneider-Kreuznach – musste gezwungenermassen andere Wege finden. Basierend auf den Patenten von ­­­Lee rechnete Albert Tronnier in den 1930er Jahren bei Schneider-Kreuznach eine Reihe von Planar-Modifikationen, die im Prinzip alle heute gebräuchlichen Lösungen für hochlichtstarke Objektive vorwegnahmen. Durch Aufspalten der verkitteten Glieder in Einzellinsen und/oder die Verdoppelung einzelner, zu stark gespannter Linsen entstanden Konstruktionen, die theoretisch die Leistung der Sonnare erreichen konnten. Da sie aber fünf oder gar sechs Einzelglieder aufwiesen, war die Reflexneigung zu hoch und der Kontrast zu niedrig. Ein typisches Beispiel ist das Schneider «Xenon» 5 cm 1:1.5, das zunächst für Kinofilm, dann auch für die Leica gebaut wurde. Ohne Vergütungen war das fünfgliedrige «Xenon» aber dem dreigliedrigen «Sonnar» deutlich unterlegen.

 

DAS ZEISS BIOTAR

Willy Merté, der u. a. beim alten Röntgen Physik studiert hatte, war in den 1930er-Jahren nebst Ludwig Bertele einer der wichtigsten Objektivkonstrukteure bei Zeiss. Er rechnete ab 1927 eine Reihe von hochlichtstarken Optiken für den Kine-Film, die «Biotare». Bereits aus dem Objektiv-Querschnitt lässt sich erahnen, dass die Biotare  für das kleinere Bildformat des Kinofilms optimiert waren. In den 1930er Jahren folgten die Kleinbild-Biotare 2/40mm, 2/58 mm und 1.5/75 mm sowie die beiden 2/80 mm und 2/100 mm für das Mittelformat. Die extrem lichtstarken 1.4/140 mm und 2/250 mm dürften für militärische Nachtaufklärung gerechnet worden sein.

 

Das Biotar 5.8 cm 1:2

 

Die Tatsache, dass Zeiss im Kleinbildbereich zusätzlich zu den exzellenten Sonnaren auch das Planar-Prinzip wieder aufgriff, erklärt sich mit der 1936 vorgestellten «Kine Exakta», der ersten Kleinbild-SLR überhaupt. Der Spiegelkasten verlangte nach einem relativ grossen Freiraum zwischen Objektiv und Film, und die Biotare konnten das im Gegensatz zu den Sonnaren bieten. Das Zeiss «Biotar» 5.8 cm 1:2 (1938) galt bei den lichtstarken SLR-Standardobjektiven rund 15 Jahre lang als das Mass aller Dinge.

Bei Offenblende zeichnet das Objektiv an APS-C-DSLRs erstaunlich scharf; die leichten sphärischen Restfehler führen gerade bei «avaliable light» Aufnahmen zu einer fast romantischen Überstrahlung der Spitzlichter. An der A900 ist es bei f2.0 zwar schwächer als das Sony 1.4/50 mm, bei f8 aber fast perfekt – besser als das Zeiss «Tessar» 2.8/50 mm und sogar leicht besser als das Zeiss ZA 2.8/24-70 mm!

 

Das Biotar 7.5 cm 1:1.5

 

Weit gesuchter ist heute das Juwel unter den klassischen Zeiss-Linsen: das Zeiss Biotar 7.5 cm 1:1.5 (1938). Es ist das erste hochlichstarke Portrait-Objektiv des Weltmarktes. Nicht zuletzt aufgrund seines Preises (damals mehr als zwei Monatsgehälter eines Ingenieurs)  blieb das 1.5/7.5 cm aber ein ausgesprochenes Spezialobjektiv für schlechte und schlechteste Lichtverhältnisse. Die Optik hat zwar nur sechs Linsen – diese sind aber teils aus hochbrechenden, leicht gelblichen Sondergläsern gefertigt, auf die Ende der 1930er Jahre nur Zeiss Zugriff hatte.

Bei Offenblende zeichnet 1.5/7.5 cm an der A900 nur im Bildzentrum detailreich; gegen den Rand hin nimmt die Auflösung schnell und deutlich ab. Aufgrund der relativ kleinen Frontlinse haben die Unschärfe-«Kreise» am Bildrand die Gestalt von Katzenaugen («swirling bokeh»). Sagittale und tangentiale Schärfe unterscheiden sich am Bildrand erheblich (ähnlich dem Zeiss ZA 2.8/24-70 mm). Die Bildanmutung ist bei f1.5 recht sanft, was gerade in kontrastreichen «available light» Situationen zu gut durchgezeichneten Schatten führt, ohne dass die Lichter «ausfressen» (siehe Bildbeispiele). Auch für Porträts eignet sich das voll geöffnete 75er Biotar gut.

Bei f2.0 steigt der Kontrast beträchtlich an, die Randunschärfen bleiben aber unverändert. Bei f5.6-f8 wird das Optimum an Detailauflösung erreicht; hier übertrifft das alte Zeiss sogar die modernen f2.8-Zooms. Generell ist die Farbkorrektur der Biotare exzellent – man muss sogar von apochromatischer Korrektur ausgehen, denn auch bei kritischer Betrachtung sind keine Farbquerfehler feststellbar.


 

Zeiss Biotar arnopisa

Pisa mit dem Arno. Die exzellente Detailauflösung und der mässige Kontrast des alten Biotars ergeben trotz hartem Mittagslicht ein perfekt durchgezeichnetes Bild.Das Biotar 7.5 cm 1:1.5 - hier in der frühren Nachkriegvariante mit M42-Gewinde an die Sony A900 adaptiert - zeichnet bei f5.6 den 24MP Vollformatsensor makellos aus. Selbst die Farbfehler (CA's) sind weitgehend korrigiert. Durch den Einsatz von Sonderngläsern tritt bei Farbaufnahmen allerdings ein recht deutlicher Gelbstich auf, der nur schwierig zu korrigieren ist.

Zeiss Biotar tuerklopferpisa Zeiss Biotar jazzinsonvico

Links: Antiker Türklopfer in der Altstadt von Pisa. Rechts: "Jazz in Sonvico 2011" - Simon Quinn, Homeland. Biotar 7.5 cm bei voller Öffnung (f1.5) an der Sony A900. Typisch die gute Detailauflösung im Zentrum und das "swirling Bokeh". Die Auflösung am Bildrand lässt - nicht nur der Tiefenschärfe wegen - massiv nach.

DIE ZEISS CONTAX S

Bereits vor Ausbruch des 2. Weltkrieges begann Hubert Nerwin bei Zeiss Ikon unter dem Namen «Syntax» mit der Konstruktion einer Kleinbild-SLR. Prototypen wie auch Pläne wurden aber beim grossen Bombardement von Dresden 1945 völlig zerstört. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm Zeiss in Jena – unter russischer Kontrolle – baldmöglichst die Produktion wieder auf. Zunächst baute man 1945/46 eine neue Produktionsschiene für die Messsucher-Contax auf. Bereits am 23. Okt. 1945 wurde bei einem Treffen des deutschen Konstrukteurs Winzenberg mit dem russischen Major Turygin auch die Idee der «Spiegel-Contax» wiederbelebt. In der Folge entwickelte Zeiss Ikon eine gänzlich neue SLR, deren grundlegendes Design bis in die 1980er Jahre für praktisch alle japanischen SLRs wegweisend blieb.

Die «Contax S» war die erste SLR mit fest eingebautem Pentaprisma. 1948 an der Leipziger Messe vorgestellt, war sie ebenso präzise gebaut wie die Leica und kostete mit 475 $ sogar rund einen Drittel mehr als diese. Man setzte auf den von Leitz entwickelten Tuchverschluss, der deutlich zuverlässiger als der Metall-Rollo-Verschluss der Messsucher-Contax war. Die Sowjets brachten das M42-Schraubgewinde ein, das bald zum Standard bei SLRs wurde. Da Zeiss mit Asahi in Japan zusammenarbeitete, diente die «Spiegel-Contax» auch als Grundlage für die höchst erfolgreiche «Pentax» (PENtaprisma ConTAX), die ab 1957 das Ende der Messsucherkameras im professionellen Bereich einläutete. Zweifellos analysierte auch Nikon die «Contax S» eingehend, bevor die klassische Nikon F (1959) konstruiert wurde - und gleiches dürfte für Minolta gelten, deren "SR-1" und "SR-2" ab 1958 auf den Markt kamen.

 

DER DURCHBRUCH IN DEN 1960ER JAHREN

Durch die Vergütung wurden nach dem 2. Weltkrieg die von Tronnier um 1930 vorgeschlagenen Planar-Abkömmlinge mit fünf oder sechs Gliedern realisierbar. Trotzdem erreichten die hochlichtstarken Planare erst um 1960 das Niveau von Berteles Sonnar 1.5/50 mm. Ironischerweise leistete zunächst der Zeiss-Konkurrent Leitz einen wichtigen Beitrag für den Durchbruch des Planars. Leitz setzte ab 1935 auf das Schneider «Xenon» 5 cm 1:1.5. Es ähnelte stark dem von Lee 1930 patentierten Planar-Abkömmling mit verdoppeltem Hinterglied. Ab 1949 wurde das «Xenon» von Leitz patentfrei als «Summarit» 1.5/50 mm nachgebaut – jetzt allerdings mit Vergütungen und damit praxistauglich.

Praktisch alle anderen Hersteller folgten. Das Zeiss Planar 1.4/55 mm (1961), das Nikkor-S 1.4/50 mm (1962), aber auch Canons 1.2/58 mm (1962) und Minoltas MC-Rokkore 1.2/58 mm (1968) und 1.4/50 mm (1973) basieren auf demselben Prinzip. Eine weitere, 1937 von Tronnier bei Schneider vorgeschlagene Modifikation löste das vordere Dublett des Planars in Einzellinsen auf. Dieses Prinzip findet sich u. a. im Minolta MC 1.7/85 mm (1970) und im Zeiss Planar 1.4/85mm (1974).

Löst man beim Planar das Vorderglied auf und verdoppelt gleichzeitig die Hinterlinse, so bekommt man  zwölf Glas-Luft-Flächen. Ohne wirksame Vergütung war diese Variante praktisch nicht umzusetzen. Erst 1968 zeigten Canon und Pentax mit ihren neuen 1.4/50 mm das Potenzial dieser Bauweise. Das Resultat war so überzeugend, dass seither praktisch alle hochlichtstarken Normalobjektive nach diesem Prinzip aufgebaut werden. Durch höchstbrechende Sondergläser mit Brechzahlen von  >1.9 konnte Mandler bei Leitz 1976 die Lichtstärke dieses Typs sogar auf f1.0 steigern (Noctilux 1.0/50 mm).

Verzichtet man auf hohe Lichtstärke, so kann das Planar auch als Fünflinser gebaut werden. Sowohl Zeiss Jena  («Biometar» 2.8/80 mm und 2.8/120 mm) als auch Zeiss Oberkochen («Planar» 2.8/80 mm) nutzten dieses Prinzip für die vielgerühmten Arbeitspferde zur «Hasselblad» und zur «Pentacon Six».

 

AUSBLICK

Trotz zahlloser Modifikationen – deutlich über 300 Planar-Abkömmlinge wurden patentiert – ist allen Planaren etwas von der eleganten Symmetrie von Rudolphs ursprünglichem Entwurf geblieben. Erst seit kurzem tauchen vermehrt stärker abgewandelte Planare auf. Ein 2009 angemeldetes Sony-Patent für ein 1.2/50 mm- Kleinbildobjektiv zeigt, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte. Die Abbildungseigenschaften des Planars wurden zum Massstab für sämtliche modernen Objektive. Paul Rudolph, der sein mit dem «Protar», «Tessar» und «Planar» erarbeitetes Vermögen in der grossen Inflation von 1922/23 verloren hatte, musste aber bis ins hohe Alter weiter arbeiten, bevor er 1935 verstarb.